Donnerstag, 8. August 2013

Ein Jahr später

Es ging schnell um und es war grauenvoll: Ein Jahr ohne das sehnsüchtig erwartete Kind. 


Dass es wirklich schon ein Jahr ist, kann ich noch nicht so recht glauben. Manchmal rannte die Zeit und manchmal war es als bliebe sie stehen.


Samuels Geburtstag war eine kleine Achterbahnfahrt. Die Nacht davor war wesentlich schlimmer als der Tag. Plötzlich ist alles wieder da als wäre es gestern erst passiert, nur dass man sich selber zuschaut wie es passiert. Wie in einem ganz schlechten Film. Man möchte schnell umschalten, aber es geht nicht. Wegschauen geht auch nicht.


Und dann kam sie, die große Welle des Schmerzes, die einen stumm schreien lässt und die Luft zu atmen nimmt, die Frage nach dem Warum, die Wut, die Enttäuschung, die Trauer, der Schmerz. All das war plötzlich wie aus dem Nichts auf einmal da.
Als die letzte Träne floss und die Luft zum atmen wieder kam, war alles wieder gut. Wie lange das Ganze gedauert hat, weiß ich nicht mehr. Stunden, Minuten, all das ist relativ in diesen Momenten und zählt einfach nicht.


Morgens haben wir sein Grab neu gestaltet. Das ist alles was bleibt. Eigentlich hätten wir Geschenke auspacken sollen. Stattdessen haben wir Blumen gepflanzt mit den Worten "Das ist alles nicht richtig! So sollte es nicht sein!" im Kopf. Auf dem Rückweg vom Friedhof schlug die Welle noch mal zu und zum ersten Mal seit einem Jahr haben Freunde um mich herum diese Welle gesehen. Ich habe mich immer bemüht sie halbwegs zu verstecken. Weil ich nie wollte, dass andere diese Hilflosigkeit spüren. Doch dies mal lies es sich nicht vermeiden. Es war irgendwie absurd, auch wenn es angenehm war das andere Gesicht zu zeigen. 


Als auch diese Welle erneut verschwand brauchte ich erstmal einen Schnaps. Dass es erst vormittags war hat mich herzlich wenig gestört. Besondere Tage erfordern besondere Maßnahmen. Danach sind wir mit Sack und Pack in ein Einkaufszentrum gefahren und haben geshoppt wie die Irren. Das haben wir auch letztes Jahr gemacht nach der Beerdigung. Mag für manche makaber sein oder überhaupt nicht denkbar an solchen Tagen, aber wir haben das zur Tradition gemacht.


Was nützt es mir, wenn ich der Welle die Oberhand lasse und in der Ecke sitze? Bringt es mir mein Kind wieder? Nein. Würde er das wollen? Nein. Nein, ich denke nicht. Nur weil ich nicht mehr weine, heißt es nicht, dass ich nicht mehr an ihn denke. Meine Gedanken sind immer bei ihm. Er ist fest in meinem Herzen und daran wird sich nie etwas ändern. 


Was ich in diesem einen Jahr gelernt habe ist, dass sich ganz plötzlich alles ändert und man deswegen alles mehr geniessen sollte. Ich achte mehr auf die Menschen mit denen ich mich umgebe, wer es gut meint und wer nicht. Ich bin offener geworden, gehe mehr auf Menschen, die mir wichtig sind zu und spreche Dinge an, die mich stören, da ich sie nicht verlieren möchte. Bei den anderen ist es mir egal geworden. Sie sollen denken was sie wollen über mich. Sie kennen mich nicht und werden mich auch nie richtig kennen, weil sie das gar nicht möchten. Ich setze andere Prioritäten als damals, denn ich weiß, dass das Leben kurz ist. Ich schmeisse manche Regeln einfach über Bord, weil ich sie für unnötig erachte. 


Ich habe gelernt, dass sich Menschen auf einen stürzen, weil man ein schweres Schicksal erlitten hat und alle genau wissen wollen was da los war. Ist allerdings etwas Zeit vergangen, wird man uninteressant und soll aufhören zu trauern.


Es gibt viele, die Samuels Geburtstag vergessen haben. Oder die einfach so nichts gesagt haben, weil sie nicht konnten, wollten, wie auch immer. Wenn ein Kind stirbt erleben die Eltern eine Art "Hype". Man bekommt Karten, nette Worte, Aufmerksamkeit. Ob nun positiv oder negativ. Am ersten Geburtstag ohne Kind passiert nichts. Von 10 Leuten melden sich 3 oder 4. Der Rest schweigt. Wir erwarten nicht viel als Eltern. Wir wissen selber nicht wie wir den Tag verbringen, aber ein einziges " Wir denken auch Euch" zeigt uns, dass unser Sohn nicht vergessen ist und dass alle wissen, dass er da war. Keine einziges Wort versetzt uns einen ganz bösen Stich. 


Ich weiß, dass es ganz schwer ist mit uns umzugehen. Wir möchten nicht mehr als einen schmalen Grad zwischen nicht-in-Watte-gepackt-werden und offen sein. Wir sagen Euch, wenn es nicht geht oder wir einen schlechten Tag haben, genau so wir ihr uns das auch sagen dürft. Wir sind immer noch die gleichen Menschen, nur ein kleines bisschen anders. 


An dieser Stelle danke ich allen, die an Samuels Geburtstag bei uns waren und wenn es nur in Gedanken war und die den Mut hatten, diese Gedanken auszusprechen.


Ich danke für die kleinen Aufmerksamkeiten für sein Grab, es bedeutet uns so viel, dass wir sie dort stehen haben. 


Ich danke allen, die ein Jahr an unserer Seite waren und es immer noch sind.


Und ich danke auch allen, die mir das Jahr zu Hölle gemacht haben mit unbedachten Sprüchen oder Ignoranz und dies immer noch tun. Durch Euch weiß ich mit wem ich meine kostbare Zeit nicht verbringen werde.


Ein ganz großes Danke geht an die Macher der neuen Kerze. Sie hat einen Ehrenplatz und wird erstmal nicht angemacht, weil sie was ganz besonderes ist. Es steckt so viel Herz und Liebe darin, dass jeder das erstmal sehen soll. 


Und natürlich: Danke an alle Leser dieses Blogs, die den Mut haben mir zu folgen, die ein Jahr lang mitgelesen haben. Wie es weiter geht weiß ich noch nicht genau, aber still wird es um mich nicht, so viel steht fest. So lange es Menschen gibt, die Trost brauchen und Mut werde versuchen ihnen beides zu geben.

1 Kommentar:

  1. Ich möchte dir meinen ganz großen Respekt aussprechen. Ich bewundere dich und die Tatsache das du es schaffst das alles in Worte zu fassen. deiner ganzen Familie wünsche ich alles gute. mach weiter so, toll!

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