Montag, 30. September 2013

Taufe mit Tränen.

Am 15. September wurde mein großer Sohn getauft. Er hat es sich so gewünscht und war so stolz, dass er endlich getauft wurde.


Er hat sehr fasziniert den Gottesdienst verfolgt, der nur für unsere Familie und ihn war. Er war die Hauptperson und war mehr als glücklich.


Wir haben uns nach Samuels Tod dafür entschieden Leonard doch noch taufen zu lassen, wenn er es möchte. Und mit 3 Jahren kann man das schon entscheiden. Er weiß genau was das bedeutet und war ganz klar stark dafür. Ich hatte während der ganzen Planung nur Leonard und die Familie im Kopf. Mir war nicht bewusst, was konkret auf MICH zukommt. Ich konnte nicht ahnen welche emotionalen Kämpfe ich ausfechten musste während dieses Gottesdienstes und ich weiß nicht, ob es irgendjemand überhaupt mitbekommen hat, weil ich glaube, ich habe mich ganz gut gehalten. 


Es ging - ganz klar - an diesem Tag nur um Leonard. Und doch saß ich auf dieser Kirchenbank und mir schossen Gedanken in den Kopf. Wie würde Samuel jetzt aussehen? Würde er schon laufen können? Würden wir ihn auch schon taufen lassen? Wie hätte er das Ganze mitgemacht? Wäre er auch so stolz und still und andachtsvoll?


Mir fehlte plötzlich diese kleine Hand, die da sein sollte. Hier in meiner. Diese großen Augen, die mich anschauen sollten, fragend, was da los ist. Diese Fragen und Gedanken, gemischt mit Schmerz, Trauer und dem Orgelspiel war dann doch zwischenzeitlich etwas zu viel.


Die Tränen liefen und es war ein innerer Kampf sie zu stoppen. Ich wollte nicht vor Leonard weinen. Ich wollte nicht, dass er sieht wie ich leide. Also hab ich die Tränen weggewischt und tapfer gelächelt.


Das Ganze habe ich ein paar Tage aufrecht erhalten können. Doch dann war ich alleine. Mein Mann auf Geschäftsreise, Leonard im Kindergarten, meine Mama wieder zu Hause. Ich war nicht in der Lage aufzustehen. Ich habe vor mich hin gelungert, wusste nichts mit mir anzufangen. Wollte eigentlich keinen sehen und hören. Habe mich wieder jeden Tag nur aufgerappelt um ihn vom Kindergarten abzuholen und so zu tun als wäre nichts. Jetzt, langsam, ganz langsam, geht es wieder. Es ist schwer durch dieses Herbstwetter, aber es geht. Ich raffe mich wieder auf und werde "normal". 


Auch nach einem Jahr, und ich glaube egal wie lange es her ist, gibt es Situationen, wo alles, aber wirklich alles wieder hochkommt und einen runterzieht. Es gibt gute Tage, schlechte Tage, gute Wochen und schwere Wochen. Ich kann nie sagen wie es mir geht und was passiert. Manchmal kann sich meine Stimmung innerhalb von Sekunden ändern. Das Wichtigste jedoch ist: Ich gehe weiter. Wenn auch manchmal etwas stockend. 

Donnerstag, 8. August 2013

Ein Jahr später

Es ging schnell um und es war grauenvoll: Ein Jahr ohne das sehnsüchtig erwartete Kind. 


Dass es wirklich schon ein Jahr ist, kann ich noch nicht so recht glauben. Manchmal rannte die Zeit und manchmal war es als bliebe sie stehen.


Samuels Geburtstag war eine kleine Achterbahnfahrt. Die Nacht davor war wesentlich schlimmer als der Tag. Plötzlich ist alles wieder da als wäre es gestern erst passiert, nur dass man sich selber zuschaut wie es passiert. Wie in einem ganz schlechten Film. Man möchte schnell umschalten, aber es geht nicht. Wegschauen geht auch nicht.


Und dann kam sie, die große Welle des Schmerzes, die einen stumm schreien lässt und die Luft zu atmen nimmt, die Frage nach dem Warum, die Wut, die Enttäuschung, die Trauer, der Schmerz. All das war plötzlich wie aus dem Nichts auf einmal da.
Als die letzte Träne floss und die Luft zum atmen wieder kam, war alles wieder gut. Wie lange das Ganze gedauert hat, weiß ich nicht mehr. Stunden, Minuten, all das ist relativ in diesen Momenten und zählt einfach nicht.


Morgens haben wir sein Grab neu gestaltet. Das ist alles was bleibt. Eigentlich hätten wir Geschenke auspacken sollen. Stattdessen haben wir Blumen gepflanzt mit den Worten "Das ist alles nicht richtig! So sollte es nicht sein!" im Kopf. Auf dem Rückweg vom Friedhof schlug die Welle noch mal zu und zum ersten Mal seit einem Jahr haben Freunde um mich herum diese Welle gesehen. Ich habe mich immer bemüht sie halbwegs zu verstecken. Weil ich nie wollte, dass andere diese Hilflosigkeit spüren. Doch dies mal lies es sich nicht vermeiden. Es war irgendwie absurd, auch wenn es angenehm war das andere Gesicht zu zeigen. 


Als auch diese Welle erneut verschwand brauchte ich erstmal einen Schnaps. Dass es erst vormittags war hat mich herzlich wenig gestört. Besondere Tage erfordern besondere Maßnahmen. Danach sind wir mit Sack und Pack in ein Einkaufszentrum gefahren und haben geshoppt wie die Irren. Das haben wir auch letztes Jahr gemacht nach der Beerdigung. Mag für manche makaber sein oder überhaupt nicht denkbar an solchen Tagen, aber wir haben das zur Tradition gemacht.


Was nützt es mir, wenn ich der Welle die Oberhand lasse und in der Ecke sitze? Bringt es mir mein Kind wieder? Nein. Würde er das wollen? Nein. Nein, ich denke nicht. Nur weil ich nicht mehr weine, heißt es nicht, dass ich nicht mehr an ihn denke. Meine Gedanken sind immer bei ihm. Er ist fest in meinem Herzen und daran wird sich nie etwas ändern. 


Was ich in diesem einen Jahr gelernt habe ist, dass sich ganz plötzlich alles ändert und man deswegen alles mehr geniessen sollte. Ich achte mehr auf die Menschen mit denen ich mich umgebe, wer es gut meint und wer nicht. Ich bin offener geworden, gehe mehr auf Menschen, die mir wichtig sind zu und spreche Dinge an, die mich stören, da ich sie nicht verlieren möchte. Bei den anderen ist es mir egal geworden. Sie sollen denken was sie wollen über mich. Sie kennen mich nicht und werden mich auch nie richtig kennen, weil sie das gar nicht möchten. Ich setze andere Prioritäten als damals, denn ich weiß, dass das Leben kurz ist. Ich schmeisse manche Regeln einfach über Bord, weil ich sie für unnötig erachte. 


Ich habe gelernt, dass sich Menschen auf einen stürzen, weil man ein schweres Schicksal erlitten hat und alle genau wissen wollen was da los war. Ist allerdings etwas Zeit vergangen, wird man uninteressant und soll aufhören zu trauern.


Es gibt viele, die Samuels Geburtstag vergessen haben. Oder die einfach so nichts gesagt haben, weil sie nicht konnten, wollten, wie auch immer. Wenn ein Kind stirbt erleben die Eltern eine Art "Hype". Man bekommt Karten, nette Worte, Aufmerksamkeit. Ob nun positiv oder negativ. Am ersten Geburtstag ohne Kind passiert nichts. Von 10 Leuten melden sich 3 oder 4. Der Rest schweigt. Wir erwarten nicht viel als Eltern. Wir wissen selber nicht wie wir den Tag verbringen, aber ein einziges " Wir denken auch Euch" zeigt uns, dass unser Sohn nicht vergessen ist und dass alle wissen, dass er da war. Keine einziges Wort versetzt uns einen ganz bösen Stich. 


Ich weiß, dass es ganz schwer ist mit uns umzugehen. Wir möchten nicht mehr als einen schmalen Grad zwischen nicht-in-Watte-gepackt-werden und offen sein. Wir sagen Euch, wenn es nicht geht oder wir einen schlechten Tag haben, genau so wir ihr uns das auch sagen dürft. Wir sind immer noch die gleichen Menschen, nur ein kleines bisschen anders. 


An dieser Stelle danke ich allen, die an Samuels Geburtstag bei uns waren und wenn es nur in Gedanken war und die den Mut hatten, diese Gedanken auszusprechen.


Ich danke für die kleinen Aufmerksamkeiten für sein Grab, es bedeutet uns so viel, dass wir sie dort stehen haben. 


Ich danke allen, die ein Jahr an unserer Seite waren und es immer noch sind.


Und ich danke auch allen, die mir das Jahr zu Hölle gemacht haben mit unbedachten Sprüchen oder Ignoranz und dies immer noch tun. Durch Euch weiß ich mit wem ich meine kostbare Zeit nicht verbringen werde.


Ein ganz großes Danke geht an die Macher der neuen Kerze. Sie hat einen Ehrenplatz und wird erstmal nicht angemacht, weil sie was ganz besonderes ist. Es steckt so viel Herz und Liebe darin, dass jeder das erstmal sehen soll. 


Und natürlich: Danke an alle Leser dieses Blogs, die den Mut haben mir zu folgen, die ein Jahr lang mitgelesen haben. Wie es weiter geht weiß ich noch nicht genau, aber still wird es um mich nicht, so viel steht fest. So lange es Menschen gibt, die Trost brauchen und Mut werde versuchen ihnen beides zu geben.

Donnerstag, 18. Juli 2013

Zeitreise

Das sind wir zwei vor ca. einem Jahr. Da ging es uns gut. Wir waren glücklich. Ich habe Dich gespürt, Du hast mich getreten wie wild. Es war großartig. Jede einzelne Bewegung war großartig. Ich war voller Glück und Vorfreude auf das, was kommen sollte. Ich wusste nicht und konnte es nicht ahnen, dass Dein kleines Herz nur ein paar Tage später einfach so aufhört zu schlagen. Einfach so. Ich habe geplant. Die Zeit mit Dir geplant. Mir ausgemalt wie schön es wird. Zu viert. Dein Bruder war auch schon ganz neugierig. Er wollte unbedingt mit Dir spielen und wissen, wann Du endlich zu uns kommst.



Wir hatten alles fast fertig, haben nur gewartet. Auf diesen einen Tag. Auf diesen einen Schrei. Auf diesen einen Moment in dem Du das Licht der Welt erblickst und wir komplett sind. Nichts davon ist eingetreten. Das Licht der Welt durftest Du nicht erblicken. Du kanntest nur das Licht, dass durch meine Bauchdecke auf Dich fiel. Unsere Stimmen durftest nur dumpf wahrnehmen. Wir durften Deine gar nicht hören. 

Nun hast Du bald Deinen ersten Geburtstag. Und gleichzeitig Todestag. Ich sollte hier sitzen und Geschenke einpacken, Einladungen schreiben, Dekorationen kaufen, einen Kuchen planen. Was mache ich stattdessen? Ich weine. Frage nach dem Warum. Bastel Dir diese Kerze, damit Du zu Deinem Geburtstag eine Neue hast, weil Deine Alte mittlerweile niedergebrannt ist. 


Mache Dein Grab hübsch als Geschenk. Weil ich nichts anderes habe. Kerzen, Grab, Fotos, Erinnerungen. 

Ich habe heute vor einem Jahr davon geträumt wie es wird, Dich ins Bett zu bringen. Ich wusste nicht, dass ich einen Sarg aussuchen muss und Dich zur ewigen Ruhe begleiten soll. Mein Traum wurde ein Albtraum....


Freitag, 21. Juni 2013

11 Monate

Nächste Woche sind es 11 Monate.


Wenn ich zurückblicke, weiss ich nicht wie ich das alles geschafft habe. Mir kommt es immer noch so vor als wäre es ein paar Wochen her.
Nun steht er bald an, der "große" 1. Geburtstag. Ich merke selber wie nervös mich das macht. ich bin sehr angespannt, empfindlich, vieles kommt wieder hoch... Ich habe immer noch keine Ahnung wie ich diesen Tag verbringe, ich weiß nicht was passiert. Ich will es auch nicht wissen. Irgendwie möchte man diesen Tag aus dem Kalender streichen, aber wäre das fair? Hat Samuel nicht trotzdem das Recht auf einen schönen Tag? Auch wenn er nicht bei uns ist? Habe ich nicht auch das Recht seinen Geburtstag zu feiern? Ich schwanke. Ich will und irgendwie will ich auch nicht. 


Momentan ist sowieso alles sehr schwer.... Die Beerdigung meiner Oma, wo alles hoch kam, Freunde um mich herum die ein Kind bekommen oder gerade eins auf die Welt gebracht haben. Die Absatzerscheinungen der Antidepressiva, die heftiger sind als alle Nebenwirkungen... Der Wunsch nach einem dritten Kind, aber die verdammte Angst dahinter!!! 


Heute kam sie mal wieder, die Fragen aller Fragen: Wollt ihr noch ein 2. Kind?
Kurze Überlegung: Sagen oder nicht sagen, dass bereits ein 2. Kind vorhanden ist, aber nicht hier. Ich habe mich für letzteres entschieden. Ganz bewusst. Weil ich weiß, wenn ich nichts sage geht es mir noch schlechter.


Ich spreche das alles offen aus, rede darüber, weil es so ist wie es ist. Ich vertrete immer noch die Meinung, dass dieses Kind da ist, wenn auch nicht hier. Es gibt dieses Kind. Es wurde geboren. Ich habe Samuel gesehen und ich habe ihn gestreichelt und geküsst. Warum soll ich das nicht sagen?


Und was kam als Antwort: Ach, Du auch? Wir haben so einen Fall auch in unserer Familie. Wer nicht?! frage ich mich langsam. Und warum, verdammt noch mal, macht keiner den Mund auf? Warum ist das so ein geheimer Club? Warum müssen Menschen darunter leiden und trauen sich nichts zu sagen, nur weil es ein Tabu ist?! Diese Frage beschäftigt mich seit einem Jahr und wird mich mein Leben lang beschäftigen. Ich werde so lange meine Geschichte erzählen und so lange kämpfen bis es kein Tabu mehr ist.


Mein Kind hat gelebt. Es gibt ihn. Und ich will das auch sagen. Ich kann keine Bilder zeigen, oder Details erzählen, aber ich kann sagen: Ich habe zwei Kinder! Ich bin zweifache Mutter. Hört mir zu und lernt wie kurz das Leben ist. Geniesst das was ihr habt. Und seit ab und an etwas vorsichtiger.


Wie gesagt, ich sehe die Dinge anders. Vielleicht auch manchmal zu krass, aber das steckt jetzt nun mal drin und das kann ich nicht ändern. Ich rede mir immer noch ein ich hätte vieles anders machen können, vielleicht würde mein Kind dann noch leben. Ich weiß selber, dass das Quatsch ist, aber der Gedanke ist da. Und er quält mich täglich. Ob das je aufhören wird?


Manchmal denke ich, dass ich ganz schön tapfer und mutig bin. Und manchmal frage ich mich, ob das alles Sinn macht? Mache ich das alles richtig? Ist es richtig, das alles so öffentlich zu machen? Helfe ich anderen wirklich damit? 
Oder mache ich mir selber was vor? 


Mein Leben ist weiterhin eine Achterbahn: Hoch und runter mit einer rasenden Geschwindigkeit. Und ich stehe daneben und schaue zu.... 


Mittwoch, 29. Mai 2013

29. Mai 2013

Nun zu mir... 


Die letzten Tage waren schwer. Am 26.5.2013 waren es genau 10 Monate und man kommt dann doch mehr ins Grübeln, wie Samuel wohl aussehen würde und was er alles könnte, ob er genauso wäre wie sein Bruder.
Er fehlt einfach. Wir vermissen ihn alle sehr.


Am 24.5.2013 ist dann auch noch meine Oma gestorben... Sie hatte ein langes, erfülltes schönes Leben und doch tut es wahnsinnig weh, dass sie nun nicht mehr da ist.
Es ist wieder ein Platz, der leer ist, eine Stelle im Herzen, die sticht. Ich tröste mich damit, dass sie nun wieder bei ihrem Mann, ihren Geschwistern und ihrem Urenkel ist.
Es tut gut zu wissen, dass niemand allein dort oben ist und Samuel Gesellschaft hat.


Jetzt ist ein Teil der zukünftigen Generation und ein Teil der alten Generation von uns gegangen. Und beide fehlen uns so sehr in unserem alltäglichen Leben. Es reißt wieder alles auseinander. Wieder muss ich alles neu sortieren, der Boden ist weg und doch muss ich stark sein.
Ich muss meiner Mutter helfen, ihr beistehen. Sie hat jetzt ihre Mutter und ihren Enkel verloren. Ich muss stark sein für den Rest der Familie. Sie waren für mich da vor 10 Monaten und sind es immer noch, also werde ich das jetzt zurückgeben.


Ich bin den schlimmsten Weg schon gegangen. Mir fällt es dies mal nicht ganz so schwer Abschied zu nehmen, auch wenn es weh tut. Aber die anderen kennen diesen Weg in der Form nicht. Ich muss für sie mit stark sein und sie unterstützen. Ich weiss was auf sie zukommt, die Wellen der Trauer, die Leere, der Schmerz.


Die Jüngste ist jetzt die Stärkste... Absurd, oder? Ich war immer die Kleine, die sensible, die Schutz brauchte. Meine Oma hat immer gesagt "Evchen, Du bist wie ich. Du schaffst alles irgendwie, auch wenn Du das jetzt nicht glaubst". Habe ich auch nicht. Ich habe nie verstanden warum sie mir das immer gesagt hat. Jetzt verstehe ich.


Ich musste immer kämpfen um alles in meinem Leben. Immer. Ich habe gelernt wieder aufzustehen. Der Unterschied jetzt ist, ich kämpfe nicht mehr nur für mich selbst und sondern auch für andere. Und das gibt mir wahnsinnig viel Kraft.


Ich wusste nie wie mutig man sein kann, wie viel man erreichen kann. Wenn man lernt wie kurz das Leben ist und man die Welt verändern möchte, dann muss man sich selber verändern und anfangen das Leben aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Dann verändert sich auch was.


Danke, Oma, für Deine weisen Worte und für alles, was Du mir beigebracht hast.


Pass gut auf Samuel auf und drück alle fest von mir. Wir werden Dich nie vergessen.

Projekt "Austausch"

Jetzt ist es 10 Monate her, dass Samuel von uns gegangen ist. Es ist immer noch sehr schmerzhaft und ich stehe immer noch etwas unter Schock.
Aber es ist einfacher geworden damit umzugehen, weil ich offen damit umgehe.


Ich habe damals angefangen diesen Blog zu schreiben um anderen zu sagen wie es in mir aussieht, um Aussenstehenden begreiflich zu machen, was mit mir passiert und um anderen Mut zu machen, Kraft zu geben um weiterzuleben.


Ich wollte Sternenkind-Eltern mit "normalen" Eltern verbinden, einen Austausch ermöglichen, damit beide sehen und verstehen wo sich unsere Welten unterscheiden, warum wir sind wie wir sind und was andere für uns tun können ohne selber hilflos zu sein.


Ich wollte das Tabuthema und das Schweigen brechen. Und ich habe es geschafft. Es ist mir tatsächlich gelungen diesen Austausch herzustellen. Ich habe es tatsächlich geschafft, dass sich "normale" Eltern und Mütter trauen in unsere kleine traurige Welt wagen und helfen wollen. Sie verschliessen ihre Augen nicht vor der grausamen Tatsache, dass ein Kind stirb bevor es geboren ist oder uns nach kurzer Zeit wieder verlässt. Sie nehmen Anteil und wollen uns zuhören. Das tut uns gut! Wir werden ernst genommen, wir können unsere Geschichte erzählen, wir dürfen den Namen unseres Kinds aussprechen und so Weiß die Welt, dass es unser Kind wirklich gegeben hat! Das macht uns wahnsinnig glücklich und hilft uns so sehr. 


Ich bin überwältigt und unglaublich glücklich, dass mir so etwas gelungen ist, dass ich es wirklich schaffe dieses Schweigen zu brechen! Ich war mutig und habe meine Geschichte öffentlich gemacht und konnte dadurch bisher so viele Menschen erreichen und hoffe, dass es mehr werden.


Das ist ein "Projekt", dass mir so am Herzen liegt. Für mich, für Samuel, für alle Eltern, Großeltern, Tanten & Onkel, Geschwister, die ein Kind verloren haben. Ich will diese Geschichten hören und sagen: Ihr seid nicht allein! Es gibt so viele von uns und wir sind da! Wir sind wie ein Club, die Mitgliedschaft ist der Schmerz und den werden wir hier erträglicher machen. 
Ich habe einige Ideen, die ich versuche umzusetzen. Ich will weiter Mut machen, Kraft geben, Trost spenden, zuhören. Denn ich merke selber wie gut mir das tut.
Für alle, die Interesse haben: 

https://www.facebook.com/MeinLebenAlsSternenkindMama
https://www.facebook.com/groups/528314180563297/

Ich danke Euch allen von Herzen, dass ihr so mutig seid.



Dienstag, 16. April 2013

Gedanken

Es ist viel mit mir passiert in den letzten Wochen.
Die Antidepressiva schlagen an und ich hätte nie gedacht, dass sie so gut helfen.


Ich bin "normal". Der Schmerz ist noch da und er sitzt auch tief, kommt und geht wie er will, überrascht mich auch noch oft, aber das ist auch gut so. Schlimm wäre, wenn er weg wäre.


Ansonsten bin Ich wieder ICH. Ich kann lachen, Scherze machen, das Leben geniessen, in die Zukunft schauen ohne Angst zu haben. Ich falle nicht mehr in dieses große tiefe Loch. Ich bin so dankbar dafür. In der letzten Zeit war ich so traurig, so mürrisch, so abweisend. Ich habe keine Zukunft gesehen, ich wollte mit niemandem sprechen, wollte allein sein.
Alle um mich herum empfand ich als gemein, ich war neidisch auf das Glück der anderen. Ich habe vergessen wer ich bin und wie ich bin.
All das ist weg. Und das macht mich und alle anderen um mich herum so glücklich.


Ich vermisse Samuel immer noch jeden Tag, jede Minute. Ich weine immer noch oft, weil es so weh tut, dass er nicht hier ist. Und doch kann ich glücklich sein. Das ist ein wichtiger Schritt um weiter zu machen. Natürlich werde auch ich irgendwann wieder einbrechen, aber jetzt weiss ich, dass es Hilfe gibt und dass ich es schaffe wieder aufzustehen.


Mich beschäftigt seit Tagen ein Kommentar unter einem meiner Posts in dem steht, dass es keinen Gott geben kann, wenn er so grausame Dinge tut und es für Schwachsinn gehalten wird an ihn zu glauben.


Ich bin nicht die strengste Christin. Ich geh auch nicht jeden Sonntag in die Kirche oder bete jeden Abend. Ich lebe auch nicht nach den 10 Geboten oder nehme als ganz genau.
Vieles ist in der heutigen Zeit übertrieben und auch altmodisch. Aber manchmal kommen Situationen im Leben, da braucht man einen Halt. Etwas, dass einem Sicherheit gibt, etwas an das man Glauben kann, damit es diese Situationen besser macht.


Der Gedanke daran, dass mein Sohn ein anderes, vielleicht besseres Leben hat an einem anderen Ort hält mich davon ab durchzudrehen. Es hilft mir das alles zu verarbeiten. Das ist MEIN Weg. Natürlich gibt es Menschen, die gar nicht an Gott glauben, die einen anderen Halt haben, an etwas anderes Glauben. Aber auch das tun sie, damit sie etwas haben, dass sie stützt, dass es ihnen leichter macht.


Natürlich habe ich auch am 26.7.2012, an einem Donnerstag, auf diesem Stuhl gesessen und gedacht: Wenn es Gott gibt ist er ein Arschloch. Und ich glaube nicht mehr daran, dass es ihn gibt, wenn so was passiert.
Aber es gibt manchmal Dinge, die sind nicht erklärbar. Wenn ein Arzt vor einem steht und einem sagt, dass alles 9 Monate lang in Ordnung war, kein Fehler von der medizinischen Seite besteht und auch ich alles richtig gemacht habe, und mein Sohn einfach so am plötzliches Kindstod im Mutterleib gestorben ist, dann sucht man das WARUM.
Und man bekommt keine Antwort, also mauschelt man sich etwas zusammen, dass einen beruhigt. Es sollte so sein und es gibt für alles einen Grund.


Manchmal verstehen wir das nicht, warum es so ist, aber für irgendwas ist es gut. Mir hilft es dann zu sagen, Gott weiss wohl warum. Das beruhigt mich, macht es mir einfacher. Und so geht es, denke ich, vielen anderen auch. Das eigene Kind zu verlieren, egal in welchem Alter, ist wahnsinnig schmerzhaft. Es stirbt ein Teil von uns, wir werden anders, wir verschwinden ein bißchen mit und nichts wird wie vorher. Deswegen braucht man etwas an das man glauben kann.....

Donnerstag, 21. März 2013

Das Leben ändert sich

Es sind wieder einige Wochen vergangen.
Mein Großer ist inzwischen 3 Jahre alt geworden und meine volle Konzentration war auf diesen Geburtstag gerichtet. 


Es ist viel passiert seit dem letzten Eintrag hier.... Ich nehme jetzt seit einiger Zeit Antidepressiva, weil reden allein nicht mehr geholfen hat.
Es mindert die Trauer nicht oder macht den Schmerz besser, aber es hilft den Alltag zu meistern.


Sachen, die vorher nicht möglich waren, alltägliches, wie z.B. eine Spülmaschine aus-und einräumen, sind wieder machbar. Ich kann so vieles erledigen und es hilft mir einfach durch den Tag zu kommen. Plötzlich habe ich auch wieder eine Art "Schutzpanzer", der vieles abprallen lässt.
Dinge, die mich in den letzten Monaten schnell verletzt haben prallen wirklich ab. Es interessiert mich einfach nicht mehr. I


ch war in den letzten Monaten schnell gereizt und mies gelaunt. All das hat sich durch die Tabletten geändert. Erst jetzt ist mir bewusst geworden wie vielen Leuten ich durch mein Verhalten vor den Kopf gestossen habe und werde einige Gespräche führen müssen. Ich weiß, dass die meisten Verständnis haben, aber dennoch ist eine Entschuldigung angebracht. 


Ausserdem habe ich mit Hilfe meiner Psychologin gelernt (und lerne es immer noch) Menschen aus meinem Leben auszusortieren, die mir nicht gut tun, die es nicht ernst mit mir meinen, die keinen Anteil an unserem Leid nehmen wollen, die Samuel nicht "anerkennen" oder behaupten ich sei nach 8 Monaten immer noch zu sensibel und müsste langsam aufhören zu trauern.


Dafür umgebe ich mich mehr mit Menschen, die mich so mögen wie ich bin, die wissen, wie wichtig es mir ist normal mir dem Thema umzugehen und auch über Samuel reden, auch wenn er nicht mehr bei uns ist. Menschen, die mich glücklich machen, die mir Mut machen, die mich und meine beiden Kinder lieben.
Das ist das was ich brauche. Alle anderen sind nicht meine Freunde und werden es auch nie sein. Und das sind Dinge, die man lernen muss, damit es einem besser geht.


Ich habe viele Emails bekommen mit der Frage, wie ich es schaffe so mutig zu sein und wie ich aus dieser Trauerspirale rausgekommen bin. Ich bin es noch nicht ganz, aber ich nehme jede Hilfe an, die ich bekommen kann. Ich versuche Dinge positiv zu sehen, die ich vorher nicht geglaubt habe. Ich umgebe mich mit den richtigen und ehrlichen Menschen. Ich bin in Therapie und nehme Antidepressiva. Das ist meine Hilfe. Und das mache ich so lange bis ich irgendwann alleine zurecht komme. 


Tatsache ist, ich war ganz am Ende. Ganz am Boden. Tiefer als manch anderer jemals gefallen ist. Keiner kann nachvollziehen wie es ist, wenn die Welt plötzlich grau, leer und still ist anstatt bunt, voll und laut, wenn er es nicht selber mit erlebt hat.
Und ja, ich gebe es zu, es gab Tage und Momente in den letzten 8 Monaten, da war mir alles egal. Mein Mann, mein lebendiger Sohn, meine Familie.


Ich saß im Auto und habe überlegt gegen einen Baum zu fahren. Ich habe es nicht getan. Warum weiß ich bis heute nicht.


Vielleicht weil ich zu vielen anderen Menschen weh tun würde. Weil mein Sohn keine Mutter mehr hätte und der Schmerz genauso groß wäre wie meiner, weil mein Samuel nicht bei mir ist.


Ich habe diese Tatsache lange verdrängt, habe sie niemandem erzählt.
Warum? Weil ich selber über mich geschockt war. Weil ich geschockt war, was diese Trauerspirale mit mir macht, wie weit sie mit mir gehen kann.


Das war der Moment etwas zu ändern. Hilfe anzunehmen, mein Leben zu ändern. Nur noch Menschen an mich heranzulassen, die mich so nehmen wie ich bin. Einen Schutzpanzer aufzubauen um falsche Menschen, die mich unglücklich machen rauszuschmeißen, sie fern zu halten.


Denn ich bin wie ich bin. Mit meinem Ecken, Kanten, meinem Schicksal, mit meinen zwei Kindern. Und ich will nicht immer als Tabu gelten.


Ich war zweimal schwanger und ich habe zweimal ein Kind auf diese Welt gebracht. Ich bin durch die Hölle gegangen und dennoch wieder aufgestanden.


Ja, ich bin stark, auch wenn ich schwach bin. Und ja, ich bin mutig und veröffentliche das hier, weil ich weiß wie viele da draußen sind und diesen Mut brauchen um weiter zu kämpfen.


Kämpft! Auch wenn ihr noch kein Kind habt und das erste verloren habt. Kämpft! Irgendwann haltet ihr ein Baby in den Armen. Und es wird Euer glücklichster Moment sein, den ihr mehr als verdient habt.


Wir wissen mehr als andere, wir fühlen mehr als andere, wir sehen mehr als andere. Und unsere Kinder hätten nicht gewollt, dass wir einfach so aufgeben. Sie sind da irgendwo und passen auf uns auf.

Montag, 4. Februar 2013

Ein Blick hinter die Fassade

Um den Menschen um mich herum klarzumachen, warum ich momentan so bin wie ich bin, gewähre ich einen kleinen Blick hinter meine Fassade. 


Ich bin oft egoistisch. Das stimmt.
Ich ziehe mich sehr zurück. Ich höre nicht immer zu, auch wenn ich mich sehr bemühe. Vieles interessiert mich nicht mehr und ich mache viele Sachen einfach nicht mehr.
Es gibt Tage, an denen kann ich mich selber nicht ausstehen und das merkt man auch deutlich.


Warum? 
Weil ich Angst habe.


Wovor?
Vor dem Schmerz.


Der Schmerz bei dem Verlust eines Kindes ist mit nichts gleichzusetzen. Es ist ein körperlicher und seelischer Schmerz. Alles tut weh. Das Herz, der Körper, die Seele.
Man kann es sich vorstellen wir ein großes Loch, dass weh tut. Es brennt, es schmerzt unerträglich. Es ist das fehlende Stück und es zerreißt einen förmlich.


Man will sich festhalten, den Körper zusammenhalten, atmen fällt sehr schwer. Es ist eine große Welle, die einen ganz plötzlich mitreißt. Wann sie kommt, weiß man nie. Wenn sie da ist, dann geht einfach nichts mehr. Der Kopf setzt aus, der Köper setzt aus. Man funktioniert irgendwie, wie genau, weiß man nicht.


Einfache Dinge sind plötzlich schwer, ganz schwer. Sie sind nicht machbar. Es geht einfach nicht. Manchmal stehe ich gefühlte Stunden vor einem Schrank, in den ich Geschirr räumen will, aber weiß nicht mehr wie es geht. 


Und da man eben nicht weiss, wann diese Welle des Schmerzes kommt, meidet man viel.


Ich meide bestimmte Menschen, Orte, Lieder, Bücher, Filme. Ich weiß, dass es nicht nett von mir ist Menschen zu meiden, die es gut mit mir meinen. Ich weiß auch, dass ich sie damit verletze. Aber ich kann nicht. Ich kann nicht immer Zeit mit ihnen verbringen. Ich habe Angst. Eine große abgrundtiefe, abartige Angst.


Ich habe Angst, dass der Schmerz mich in ihrem Beisein überrollt. Ich habe Angst vor ihrer Hilflosigkeit mir gegenüber. Angst, dass sie mich leiden sehen, selber leiden und einfach nicht weiter wissen. 


Ich habe Angst um meinen großen Sohn. Jeden Tag. Ich habe Angst, dass auch er mir genommen wird. Ich habe Angst, dass das alles noch mal passiert und dass dieser Schmerz nie aufhört.
Ich habe Angst in der Welle unterzugehen. 


Alles, was ihr von mir seht, mein Lachen, meine Stärke, meine Lebenslust, und die Worte, die ihr von mir hört, die für Euch normal und "gesund" klingen, sind Momentaufnahmen. Es ist meine Fassade. Was hinter meiner Fassade passiert, erfahrt ihr in dem Moment nicht. Weil ich es Euch nicht zeigen werde, weil ich Angst habe.


Es gibt nur ein, zwei Leute, die kurz hinter die Fassade schauen dürfen, wenn ich sie lasse. Und das passiert nicht oft. Weil ich nicht will, das sie leiden. Weil ich sie nicht belasten will. Weil ich ihnen nicht meine Angst auflasten will. Weil sie mir diese nicht nehmen können, egal, was sie sagen oder machen. 


Also seid mir bitte nicht böse, wenn ich egoistisch bin, mich zurückziehe oder manchmal schlecht gelaunt daher komme. Das alles ist mein Schutz. Meine Mauer, meine Fassade.


Irgendwann wird sie bröckeln. Wann, weiß ich nicht....


Und manchmal, da weiß auch ich nicht, wie ich Euch begegnen soll. Soll ich von Samuel erzählen, weil es mir gut tut und Euch damit belasten? Die Geschichte bleibt immer die Gleiche. Es kommt nichts Neues dazu. Sie hat schön angefangen und hat schnell und schrecklich geendet. Wollt ihr das hören? Könnt ihr damit umgehen? Es gibt so viele Auslöser für meine Angst. Ihr wisst nicht welche. Ihr wisst nicht, was ihr dann tun sollt. Wir sind alle irgendwie recht hilflos...
V
erzeiht mir mein Verhalten. Ich bin nicht mehr Ich. Und werde es nie mehr sein. 

Samstag, 2. Februar 2013

Erinnerung & Hoffnung


Das ist das Bild, dass ich für meinen Sohn Samuel gemalt habe, der er uns am 26.7.2012 verlassen hat ohne dass wir ihn je wirklich kennenlernen durften.


Die Eule steht für die Eule, die über ihn an seinem Grab wacht und der Schmetterling steht für Samuel, weil er nur wie ein kleiner Flügelschlag in unserem Leben erschien und für immer fortflog, wir uns aber immer an seine lebendigen Farben erinnern werden.
Die Sonnenblume steht für unsere Hoffnung ihn eines Tages wiederzusehen.


Es mag für viele ein einfaches Bild sein ohne große Kunst oder Talent darin. Für mich ist es das schwerste, das ich je gemalt habe...

Mittwoch, 30. Januar 2013

Austausch

Ich  bekomme so viele Mails...
Ich schaffe es nicht immer sie direkt zu beantworten.... Deswegen habe ich gerade eine Facebook-Seite gegründet für einen direkten und schnellen Austausch.
Wenn mögt, folgt ihr einfach.


Das ist keine Werbeseite für den Blog oder sonstwas! Ich möchte gerne das Schweigen brechen und anderen Mut machen! Und viele möchten reden und sich austauschen! Das ist dort besser möglich als per email. Natürlich besteht auch dort die Möglichkeit mich privat zu kontaktieren, wenn das einigen lieber ist.

http://www.facebook.com/MeinLebenAlsSternenkindMama



Ein Lebenszeichen von mir

Es ist so lang her, dass ich hier was geschrieben habe. Die Zeit rennt so sehr... Manchmal komme ich immer noch nicht hinterher. 


Ich habe in der Zwischenzeit so viele nette und liebe Nachrichten bekommen, die mir viel Kraft gegeben haben und mir leider auch wieder gezeigt haben, dass es zu viele Sternenkinder gibt.


Ich danke Euch allen für die netten Worte, für die Aufmunterungen, für die Hoffnung, die in Euren Zeilen stand und ich wünsche allen, denen es leider genau so geht wie mir die gleiche Kraft und Hoffnung, die mich vorantreibt.


Es ist wird alles mit der Zeit etwas erträglicher, aber nicht einfacher. Es kommen immer wieder schwere Momente, die einen runterziehen und einsacken lassen. Man lernt damit umzugehen. Weiß, was man dagegen tun kann, aber es gibt auch Tage, da hilft einfach nichts und die Welt ist dann ungerecht, grau und einsam. 


Manchmal muss ich mir selbst noch mal vor Augen halten, dass er wirklich da war, das er gelebt hat und das alles kein Traum war.


Viele schweigen. Sein Name wird nicht genannt während Gesprächen, als wenn er nie existiert hätte.
Dann kommt die große Panikwelle über mich. Die Angst des Vergessens. Ich will ihn nicht vergessen. Ich will nicht, dass andere ihn vergessen.


Die Erinnerung an sein Gesicht verblasst. Es ist 6 Monate her und ich sehe sein Gesicht nur noch verschwommen in meinem Kopf. Manchmal möchte ich einfach schreien "Sagt seinen Namen!!! Samuel hat gelebt!!! Ihr habt es nicht gespürt und gesehen, aber ICH!" Aber das würde nichts bringen ausser einem Heulanfall für mich. Also lass ich es einfach und denke mir meinen Teil. Ob das gesund ist? Weiß ich nicht. Ich kann nicht anders.


Dann kommt der Moment, wo ich ihn sehen MUSS, also sehe ich mir seine Fotos an und seine Hand- und Fussabdrücke, eben das, was mir geblieben ist.
Die heiligen Papiere, die keiner ausser meinem Mann und mir anfassen darf.


Und jedes mal, wenn ich diese schrecklichen Bilder sehe, denke ich als erstes: Das ist NICHT mein Kind! So sah er nicht aus! Dann fällt mir alles wieder ein, die Realität kommt und ich weiss, dass er es ist.
Die Fotos sehen natürlich schlimmer aus als die Wirklichkeit war. Ich denke, fast jeder hier weiß, was ich meine.


In meinem Kopf setzt sich dann zusammen, dass es ihn gab, dass ich seine Bewegungen gefühlt habe, dass er wirklich gelebt hat, aber dass keiner ausser mir, dass je gesehen oder gefühlt hat.
Und wenn dieses Bild sich zusammen setzt mit der Gewissheit, dass ich nie was anderes von ihm haben werde als diese Erinnerung und diese Papiere, dann setzt auch der Schmerz ein. Und wenn dieser wieder verschwindet, dann ist plötzlich alles gut. 


Ich versuche oft diesen Schmerz zu umgehen, denn manchmal kommt er auch einfach so, wenn ich Schwangere sehe, Babys um mich habe, Eltern mit zwei Kindern im gleichen Alter wie meine Beiden.
Oft meide ich solche Situationen, aber das gelingt leider nicht immer, denn ich kann nicht die ganze Welt meiden.


Was ich dann mache? Wenn ich nicht flüchten kann und der Schmerz kommt? Schauspielern. Stärke vortäuschen. Mir geht es dann immer gut, alles ist okay, ich komm mit all dem klar und mein Lächeln bestätigt mich darin. Es zweifelt keiner daran. Meine Fassade bröckelt selten. Ich hätte dafür echt einen Oscar verdient so manches Mal.


Warum ich das mache? Ich baue eine Schutzmauer um mich herum. Purer Selbstschutz. Weil zu viel Schmerz mich weiter zerbrechen lässt. Und die Teile meiner Seele, die ich retten konnte, kleben momentan nur mit ein bißchen Tesa zusammen.


Warum ich sie überhaupt rette? Weil ich eine Mutter bin. Mütter geben nicht auf, Mütter kämpfen. Das ist das, was Samuel gewollt hätte. Das ist das, was mein ältester Sohn will. Das hält mich zusammen und aufrecht.